Lieber ohne mich ist ein rasantes literarisches Vorhaben, das sich auf den Weg durch das letzte Jahrhundert gemacht hat und dabei nach Formen seiner Erzählbarkeit sucht. In grossem Tempo werden Geschichten und wird Geschichte hervorgezaubert, die schnell schon oben in der Zirkuskuppel hängen, bereit zum Sprung. Wir wünschen dem Erzähler und seinen Figuren viel artistischen Mut. Zu dem, seit Alexander Kluges Film von den Artisten in der Zirkuskuppel auch Ratlosigkeit gehört. Kluge schreibt: Sie haben sich bis da oben hochgearbeitet, nun wissen sie nicht mehr weiter. Genau das ist die schöne Geduld der Ratlosigkeit, ohne die jede Artistin und jeder Artist verloren wären. Am Anfang von Michael Hugentoblers Erzählung steht eine Mutter, die auf den Kopf gefallen ist. Kant sagt, Vernunft sei Mutterwitz. Ohne den es folglich zu keiner Vernunft kommen kann. Die Jury wünscht sich, die so anhebende Erzählung der Mutter möge ihre Kinder weiter begleiten und nähren. Auf dass sie, durchaus artistisch, durchs Jahrhundert kommen und wir zu einer Geschichte, wie es im letzten Jahrhundert gewesen sein könnte. Auch und vielleicht gerade Lieber ohne mich. Friederike Kretzen
MICHAEL HUGENTOBLER, *1975, Küttigen, Literatur, Werkbeitrag CHF 20’000. michaelhugentobler.com
Visuals: Porträtbilder © Dominic Nahr, Collagen © Michael Hugentobler